Obwohl man das Nationalparkgesetz bereits vor 17 Jahren verabschiedet hatte, dauerte es noch einmal zehn Jahre, bis tatsächlich die ersten Nationalparks in Taiwan eingerichtet wurden.
Heute gibt es vier davon: den Kenting Nationalpark (eröffnet 1982), den Yushan Nationalpark (1985), den Yangmingshan Nationalpark (1985) und den Taroko Nationalpark (1986).
Yushan, im Süden Zentraltaiwans, ist in erster Linie eine unberührte Wildnis, die aufgrund der wenigen Straßen und Wege in dieser Gegend nur schwer zugänglich ist. Taroko vereint urtümliche Wilndis mit einer der malerischsten Landschaften, die sich Touristen auf der Insel bieten. Die anderen beiden Nationalparks, Yangmingshan (Yangming-Berg), nördlich von Taipei, und Kenting, am südlichsten Zipfel der Insel, sind infolge ihrer Nähe zu großen Ballungszentren eher großangelegte Erholungszonen als wirkliche Naturschutzgebiete.
Die Naturparks haben neben ihrer primären Bestimmung, der stark ausgebeuteten Flora und Fauna der Insele eine rettende Zuflucht zu bieten, auch dafür gesorgt, daß die breite Bevölkerung und die Intellektuellen des Landes sensibler für die Problematik von Natur- und Tierschutz geworden sind.
Obwohl sich nur sehr wenige einheimische Wissenschaftler mit naturschutzbezogenen Themen befassen, haben ihre Forschungen in den Nationalparks dennoch bedeutende Erkenntnisse über die Veränderungen der ökologischen Verhältnisse auf Taiwan ergeben. Sie spielen somit eine Schlüsselrolle dabei, offizielle Stellen verstärkt darauf aufmerksam zu machen, daß Taiwans reiche Pflanzen- und Tierwelt im Schwinden begriffen ist.
Auch die hirschähnlichen Formosa Sambars gibt es am Yushan.
Die leitenden Stellen der Nationalparks verfügen über wenig Erfahrung, auf die sie zurückgreifen können. "Wir befinden uns noch in einem Stadium des vorsichtigen Vorwärtstastens", meint Dr. Hsu Kuo-shih (徐國士), der energiegeladene doch gleichwohl sanftmütige oberste Leiter des Taroko-Nationalparks. Hsus 45 Mitarbeiter, davon rund ein Drittel graduierte Wissenschaftler, arbeiten rund um die Uhr hart daran, den 930 km2 großen Taroko-Park mit immer neuen herausragenden Bildungs- und Erholungseinrichtungen attraktiver zu machen, ohne dabei seine Funktion als Naturschutzgebiet in Frage zu stellen.
Die Taroko-Schlucht, an der Ostküste nahe Hualien gelegen, ist einer der landschaftlich schönsten Plätze Taiwans. "Taroko" bedeutet "wundervoll" im Ami-Dialekt, und die Eingeborenen, die der Schlucht einst ihren Namen gaben, wußten sehr gut, wovon sie sprachen. Besucher folgen einer gewundenen Straße, die über zwölf Kilometer hinweg mitten in die den Liwu-Fluß säumenden schieren Marmorfelsen geschnitten wurde. Sowohl Fluß als auch Marmorfelsen sind von atemberaubender Schönheit - und zuweilen furchterregend, wenn ein Fahrer sein Gefährt durch enge Windungen hindurchmanövriert, die auf scheint's unmöglichem Terrain angelegt sind.
Im Winter versinken die Bäume am Yushan im Schnee.
Zwei geplante Projekte verzögerten die Einrichtung des Taroko-Nationalparks. Zum einen beabsichtigten die staatlichen Elektrizitätswerke (Taiwan Power Company), entlang des Liwu-Flusses ausgerechnet in den geplanten Grenzen des Parks wassergetriebene Generatoren zu installieren. Andererseits bemühte sich die Formosa Plastics Corporation um eine Genehmigung der Regierung, in dem betreffenden Gebiet eine größere Anlage der Zement-Industrie errichten zu dürfen. Zur Freude von Naturschützern und Touristen gleichermaßen gelangten beide Projekte nie zur Durchführung. "Das allmählich erwachende Bewußtsein für die Wichtigkeit des Naturschutzes, das zu erhitzten Debatten überall auf der Insel führte, verhinderte schließlich die Realisierung dieser Pläne", erklärt Hsu mit einem Seufzer der Erleichterung.
Hsu und seine Mitarbeiter sehen sich einem stetig wachsenden Berg von Schwierigkeiten gegenüber, da der Park regelmäßig von Touristen, einheimischen wie ausländischen, überschwemmt wird, die die Einrichtungen dort heftig strapazieren. Seit Taroko nun auch noch über die Ost-West-Schnellstraße zu erreichen ist und über nahegelegene Bahn- und Luftverkehrsanschlüsse verfügt, können sogar Touristen, die nur zu einer Kurzvisite auf die Insel gekommen sind, die einzigartige Schlucht in ihre Reisepläne aufnehmen.
"Szenerie und Naturschätze des Parks können sich mit den landschaftlich schönsten Plätzen der Welt messen" meint Hsu. "Doch müssen wir uns verstärkt um bessere Zugänglichkeit und Erholungseinrichtungen kümmern. Nehmen Sie zum Beispiel die Hauptstraße des Parks. Während der Planung konnte niemand das heutige immense Verkehrsvolumen und die Ausmaße moderner Doppeldecker-Ausflugsbusse voraussehen. Für uns hat derzeit die Verbesserung der Verkehrsbedingungen unbedingte Priorität."
Die Chinesische Affenkatze gehört zu den Seltenheiten, die die Naturschützer zuweilen zu Gesicht bekommen.
Der Park ist mit seinen vielen hochinteressanten Naturschätzen ein reicher Fundus an Forschungsobjekten, für Naturschützer ebenso wie für Geologen. Seine Felsformationen sind die ältesten in Taiwan, und die Bewegungen, die die Erdkruste dort vollführt, sind nach wie vor die dynamischsten auf der ganzen Insel. Das Parkareal beherbergt über 1 000 Arten vaskularer Bündelpflanzen - 50 davon sind als gefährdete Arten eingestuft - und eine Vielfalt von Tieren, eine Folge der weitgehend unbeeinträchtigten Naturlandschaft. Hsu erklärt dazu: "In der Vergangenheit drohte den Tieren Gefahr von Jägern, aber der Zustand hat sich verbessert, seitdem wir unsere Kontrollmaßnahmen in Hinsicht auf illegales Jagdtreiben verstärkt haben. Es gibt Anzeichen dafür, daß die Anzahl der Tiere mittlerweile im Steigen begriffen ist."
Es könnte mehr getan werden. Hsu ist der Meinung, das Jagd-Gesetz sei hoffnungslos veraltet. Verkündet 1932 und in den 60er und 70er Jahren zweimal revidiert, habe es noch immer nicht genügend "Biß". "Eine Person, die auf frischer Tat beim Jagen ertappt wird, kann höchstenfalls mit einer Geldstrafe von 50 US$ belegt werden, selbst, wenn der Betreffende das tote Tier noch in der Hand hält." Aber wilde Tiere zu schützen muß nicht unbedingt eine Beschränkung jedweder Jagd bedeuten, nicht einmal in offiziellen Tierschutzgebieten. Hsu fügt hinzu, daß das Gesetz zum Schutz von Wildtieren versucht, den Belangen aller Betroffenen gerecht zu werden. "Es verbietet die Jagd nicht vollständig; es betont einen vernünftigen Umgang mit Wildtierbeständen unter Berücksichtigung ihrer Vermehrungskapazität."
An vielen Stellen der Insel gibt es heiße Quellen und andere Anzeichen vulkanischer Aktivität. Hier quillen stechende Schwefeldämpfe aus tiefen Felsspalten.
Der Yushan (Jade-Berg) Nationalpark im Süden Zentraltaiwans ist in erster Linie ein Naturschutzgebiet und wesentlich weniger mit Touristen überfüllt, da es keine größeren Zufahrtsstraßen, geschweige denn mit Taroko vergleichbare Unterbringungsmöglichkeiten gibt. Zwar setzt sich eine Lobby aus mehreren Gruppierungen für den Bau einer zweiten die Insel überquerenden Schnellstraße zum Yushan ein, Kritiker jedoch unterstellen diesen Leuten, sie seien eher an der Errichtung von Bergwerken interessiert als daran, den Tourismus in der Region zu fördern.
"Für diejenigen von uns, die sich mit der Erforschung der Tierwelt in Taiwan beschäftigen, stellt der Yushan-Park einen optimalen Arbeitsplatz in der Wildnis dar", erklärt Dr. Lue Kuang-yang (呂光洋), ein Professor des Fachbereichs Biologie an der National Taiwan Normal University. "Die Chance, seltene Arten wie Serow-Antilopen und Sambar-Hirsche zu Gesicht zu bekommen, ist wirklich aufregend."
Einheimischen Forschern bereitet nach wie vor der "gravierende Mangel an grundliegenden Informationen über die Wildtiere Taiwans" einige Probleme. Lue fügt hinzu: "Daher müssen wir bei Forschungen, oder wenn wir Schätzungen über die Umgebung anstellen, jedesmal ganz von vorne anfangen, zum Beispiel mit Dingen wie der statistischen Verteilung von Tieren oder anderen Basisdaten über die hiesige Fauna." Abgesehen davon sind Gutachten über Tiere harte und ausgesprochen zeitaufwendige Arbeit, und Lue beklagt, die Ergebnisse gäben einem selten das Gefühl, wirklich etwas geleistet zu haben. "Dies ist einer der Hauptgründe, warum immer weniger Leute bereit sind, sich mit diesem Bereich zu befassen."
Gegenwärtig gibt es knapp zehn Experten in Taiwan, die einheimische Tiere und ihre Lebensräume studieren. "Die Regierung hat bisher den angewandten Wissenschaften wie der Entwicklung von high-tech sehr viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Zwar beginnt sie, die Bedeutung unseres Betätigungsfeldes wahrzunehmen, aber noch lange nicht in ausreichendem Maße. Es mutet schon recht ironisch an, daß zur Zeit der japanischen Besetzung Taiwans von japanischen Experten umfangreiche Forschungen auf diesem Gebiet betrieben wurden, während in der Zeit von der Rückgabe Taiwans an China bis heute im wesentlichen eine große Forschungslücke entstand", erklärt Lue.
Die meisten von Lues Studenten gehen nach den ersten Examina in die Vereinigten Staaten, nur wenige bleiben. Er meint dazu: "Der Arbeitsmarkt hier ist sehr klein. Ich fühle mich von dieser Situation stark unter Druck gesetzt, denn die meisten Studenten, die ich ausgebildet habe, müssen sich mit der Realität abfinden, daß es keine Arbeitsplätze für sie gibt." Lue empfiehlt die Einrichtung eines staatlichen Instituts zur Erforschung von Wildtieren, um Studenten zu ermutigen, sich diesem Aufgabenfeld und dem Naturschutz zu widmen.
Dieses abgelegene Gebiet im Yushan-Nationalpark hat sich der Ausbeutung durch den Menschen schon immer widersetzt und so die Ursprünglichkeit seiner Wälder bewahrt.
Am Wochenende bietet der in der Nähe Taipeis gelegene Yangminshan-Nationalpark vielen Städtern Erholung und Ruhe.
Dr. Lin Yao-sung (林曜松), Professor des Fachbereichs Zoologie an der National Taiwan University, zeigt noch weniger Optimismus in Hinsicht auf den weiteren Ausbau dieses Forschungsbereiches, besonders in Anbetracht der gegenwärtigen nationalen Prioritäten. "Wir scheinen bereits dazu verdammt zu sein, den Kampf zu verlieren", sagt er und runzelt die Stirn, wenn er auf die verschwindend geringe Zahl von Professoren rund um die Insel hinweist, die sich mit tierweltbezogener Ökologie auseinandersetzen.
Lin meint: "Ohne die volle Unterstützung seitens der Öffentlichkeit und vor allem der Regierung werden die Anstrengungen dieser Wissenschaftler vergebens sein. Ohne ernsthafte Beteiligung der Regierung macht es überhaupt keinen Unterschied, ob wir unser Bestes geben oder gar nichts unternehmen. Bei äußerstem Einsatz unsererseits werden die wilden Tiere in 60 Jahren ausgerottet sein; tun wir überhaupt nichts, so werden sie wahrscheinlich innerhalb der nächsten 50 Jahre aussterben."
Lin untermauert seine Kritik mit alarmierenden Statistiken: "Können Sie glauben, daß die direkte Verantwortung für den Naturschutz dieser Insel mit ihrer 20 Millionen-Bevölkerung in den Händen von nur vier Personen liegt? Die Sektion Naturschutz des Rates für Landwirtschaftsfragen besteht aus ganzen vier Leuten. Die Sektion ist eine von vier Sektionen des Bereichs Forstwirtschaft, und dieser Bereich hat erst vor kurzem die Zuständigkeit für Naturschutzangelegenheiten übernommen. In der Vergangenheit hat er sich überwiegend um die Ausbeutung der Wälder gekümmert. Wir brauchen dringendst eine Institution, die ausschließlich für den Schutz von Tieren zuständig ist, eine Institution, die Forschungen speziell über Fische und Wildtiere betreibt." Ein solcher Schritt, so die Schlußfolgerung Lins, würde Regierungsfonds mit sich bringen und mehr Forscher dazu bewegen, sich mit tierweltbezogener Ökologie zu befassen.
In Tienhsiang, wo die Flüsse Liwu und Tasha sich vereinigen, bewacht eine anmutige buddhistische Pagode das Tal.
Gute Gesetze helfen auch, den Naturschutz zu fördern. Der Gesetzesentwurf zum Schutz von Wildtieren, den Lin zu schreiben half, wurde dem Legislativ-Yüan im Dezember 1986 zugestellt und im Mai 1987 einer ersten Lesung unterzogen. Seitdem ist nichts mehr geschehen. Um öffentliche Aufmerksamkeit dafür zu erregen, reichten Lin und andere gleichgesonnene Professoren gemeinsam mit einigen Naturschützergruppen kürzlich eine Petition ein, die Legislative solle den Entwurf endlich bearbeiten. "Eine Hand von Leuten genügt, seltene Tiere auf dieser Insel auszurotten, und ihren illegalen Aktivitäten kann nur mit strengen Gesetzen Einhalt geboten werden", betont Lin.
Lee San-wei (李三畏) ist der Chef der Sektion Naturschutz des Rates für Landwirtschaftsfragen, und er gibt zu, daß das Vorgehen der Regierung auf dem Gebiet der tierweltbezogenen Ökologie ein wenig langsam ist. Er meint: "Ich hoffe, daß das Gesetz zum Schutz von Wildtieren bald in Kraft treten wird. Das Jagd-Gesetz von 1932 (und seine Überarbeitungen) entspricht nicht mehr den heutigen Umständen. Und das Gesetz zur Erhaltung kultureller Werte beschränkt illegale Aktivitäten lediglich in Hinsicht auf 23 aufgeführte Arten seltener Tiere und 11 Pflanzenarten."
Gute zehn Kilometer vom 800 Meter hohen Chinshui-Felsen entfernt ist die Taroko-Schlucht in den Marmor geschnitten. Das ganze Gebiet wurde 1986 zum Taroko-Nationalpark ernannt.
Trotz der schneckenhaften Entwicklung auf dem legislativem Sektor ist Lee zuversichtlich, was die Zukunft der natürlichen Ressourcen Taiwans angeht. Abgesehen von der gesteigerten Aufmerksamkeit, die die Zentralregierung dieser Angelegenheit widmet, weist er darauf hin, daß die Provinzregierung Taiwans plant, im Laufe der nächsten fünf Jahre fünf Millionen US$ für die Förderung von Naturschutzprojekten aufzuwenden.
Wenngleich Naturschützer vielleicht nicht allzu viel Vertrauen hinsichtlich dieses Finanzierungsrahmens haben, so beginnt die Regierung doch zumindest, durch engere Kontakte zu internationalen Naturschützerorganisationen wie dem WWF (World Wildlife Fund) dazuzulernen. Vertreter dieser Gruppen werden regelmäßig zu Gesprächen mit einheimischen Experten nach Taiwan eingeladen, um Naturschutzmaßnahmen vor Ort zu begutachten und eigene Empfehlungen dazu zu geben. Dazu Lee: "Offizielle Vertreter der Republik China werden regelmäßig zu Konferenzen im Ausland entsandt. Wir müssen die Welt davon überzeugen, daß Taiwan keine Hölle für wilde Tiere mehr ist."
(Deutsch von Matthias Voß)